„Ich glotz TV!“ (Kolik, 2008)

Gastbeitrag für kolik film, Sonderheft 10, Oktober 2008

Robert Stachel – Extras, 30 Rock, Saxondale

Nach den „Simpsons“ vor 20 Jahren gab es lange Zeit kaum eine Serie, die einen festen Platz in meinen Fernsehgewohnheiten eingenommen hat. Abgesehen vielleicht von „Futurama“ und „The Critic“, einer in Europa zu unrecht kaum wahrgenommenen Trickfilmserie aus den mittleren 90ern über Arbeit und Privatleben eines New Yorker Filmkritikers.

Vor einigen Jahren kam „The Office“ auf meinen Bildschirm und hat mir – so wie vielen anderen – den Glauben an das Fernsehen zurückgegeben. Mit ihrer zweiten Sitcom „Extras“ haben Ricky Gervais und Stephen Merchant noch eines draufgelegt und so etwas wie eine Meta-Fernsehserie geschaffen. Verletzte Eitelkeiten, erbarmungslose Produktionshierarchien und die unendlich nüchterne Alltagsrealität von Film- und Fernsehproduktionen sind die Eckpfeiler der Handlung. Jede Folge beginnt damit, dass ein Starschauspieler in einer Schlüsselszene eines (fiktiven) Films zu sehen ist, während Komparse Andy Millman im Hintergrund den sprichwörtlichen dritten Zwerg von links gibt. Der Regisseur schreit „cut“, der Blickwinkel dreht sich um 180 Grad und das Leben der Komparserie (engl. extras) rückt in den Mittelpunkt. Welcher Statist war in der Szene prominenter zu sehen, wem gelingt es, einmal eine Zeile Text sprechen zu dürfen, und wer schafft es, den Star des Films kennenzulernen? In der zweiten Staffel darf Andy endlich die Karriere machen, die er sich immer gewünscht hat. Er bekommt seine eigene Serie bei der BBC, die Produktionsrealität und die vielen kreativen Kompromisse machen ihn aber immer mehr zum verzweifelten Zyniker, der sein Publikum verachtet und dem subjektiv weiterhin jeder Erfolg verweigert bleibt.

Fieberhaft warte ich in diesem Herbst auf die dritte Staffel von „30 Rock“, einer weiteren „Fernsehen-im-Fernsehen“-Serie, von der man liest, sie wäre in ihrer Konzeptphase eigentlich als Parodie einer Nachrichtenredaktion angelegt gewesen, ehe man Autorin und Hauptdarstellerin Tina Fey geraten hat, sie solle doch über das schreiben, was sie als ehemaliger Head-Writer der „Saturday Night Live“ am besten kennt: den Alltag einer überforderten Comedy-Redaktion in einem Sender, der nur seinen anspruchs- und geschmacklosen Aktionären verpflichtet ist. Größtartig verkörpert durch Alec Baldwin als hartgesottenen Kommunikationsprofi, der gleich in der Pilotfolge einen afro-amerikanischen Gangster-Rapper als neuen Star in die „Girlie Show“ hineinreklamiert, weil diese zuwenig männliches Publikum erreicht hat.

Dann noch „Saxondale“, die jüngste Serienproduktion von Steve Coogan für die BBC. Titelfigur Tommy Saxondale war in den 70er Jahren ein Roadie bei zahllosen Prog-Rock-Bands, wohnt heute in einem spießigen Vorort von London und verdient sich seinen Unterhalt als Kammerjäger (Slogan „Simply The Pest“). Nach der Scheidung von der Mutter seiner Tochter lebt er eine leidenschaftliche Beziehung zu Rocker-Braut Magz, die im nahegelegenen Shopping Mall einen Shop namens „Smash The System“ betreibt, der rotzige Sponti-T-Shirts verkauft und dessen rebellische Energie sich darin erschöpft, für den benachbarten Hochzeitsaustatter den Bürgerschreck zu geben. Jede Folge beginnt mit Tommys Besuch einer Selbsthilfegruppe für Anger Management, in der er sich zynische Duelle mit dem naiven Therapeuten liefert, um sich seiner intellektuellen Überlegenheit in der einfältigen Runde zu versichern.
Baby-Boomer Saxondale ist sich anders als Coogans früherer Charakter Alan Partridge seiner Unzulänglichkeiten durchaus bewusst. Als er wegen eines Schabenproblems in einen Provinz-Rockclub bestellt wird, trifft er auf eine junge Queen-Tribute-Band, die Probleme beim Soundcheck hat. Er hilft aus und wird von den Mittzwanzigern eingeladen, sie nach dem Konzert backstage zu besuchen. Partywütig und komplett verladen stürzt er also spät abends in die Garderobe, gemeinsam mit dem Lehrbuben seines Unternehmens, dem er gerne endlich zeigen möchte, wie sein früheres Roadie-Leben ausgesehen hat. Statt Sex, Drogen und Rock’n’Roll findet er eine nüchterne und still sitzende Band vor, die Kostüme sind artig aufgehängt, der eine trinkt Saft, der andere liest ein Buch und der dritte arbeitet an seinem Apple Laptop. Dieser Moment lässt Saxondale arm aussehen wie Charlton Heston im „Planet der Affen“, als der die Freiheitsstatue entdeckt und weiss, dass er nie wieder dortin zurückkehren wird, wo er hergekommen ist.

Alle genannten Serien (sowie das an anderer Stelle besprochene „Curb Your Enthusiasm“) stellen wenig glamouröse Alltagstypen in den Mittelpunkt, zeigen das Scheitern als Handlungsprinzip und beziehen einen Gutteil der Pointen aus jener beklemmenden Fremdscham, die nur möglich wird, wenn man den Antihelden so sehr mag, dass man auf und an seiner Seite durch die Serie durchgeht, und sich nicht abwenden kann, wenn man sich für ihn geniert oder mit ihm leidet. Die Qualität der Serien ist auch der Tatsache geschuldet, dass sie alle von ihren Hauptdarstellern konzipiert, geschrieben und teilweise auch produziert werden. Man ahnt, dass sich Larry David, Ricky Gervais oder Tina Fey ihre Figuren nicht nur auf den Leib schreiben, sondern mit viel Risiko, Improvisation und Leidenschaft aus sich selbst herausholen. Die dadurch erzeugte Nähe und Authentizität bleibt selbst in den Momenten absurdester satirischer Übertreibung bestehen. Und man lacht mittendrin statt nur darüber.


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